Udden

Ich hätte gern eine Kombination aus Spüle und Geschirrspülmaschine. Da ich ein Küchenschmodderphobiker bin, möchte ich kein Einbauteil. Am liebsten wäre mir eine Spüle aus Edelstahl, die ein Gerüst hat.

Ein bisschen googeln, und ich hab so was gefunden. Bei Ebay gibts welche für fünfhundert Euro. Und es gibt Udden von Ikea. Liebe auf den ersten Blick. Sieht gut aus, kostet nur ca. 130 Euro. Gute Sache, zu Ikea kann ich mittags mal von der Arbeit aus hinfahren, von Neubiberg ans Kreuz Brunnthal. Schnell die Spüle mitnehmen und schon ist die Sache erledigt. Denk ich mir.

Gesagt, getan, ich fahre mittwochs (traditionell mein Einkaufstag) mit dem Auto zu Ikea. Ich gehe den verschlungenen Pfad der Ausstellung entlang, bis ich nach einer Viertelstunde zur Küchenabteilung komme. Udden ist nicht zu sehen, ich frage, nein, Udden ist nicht aufgebaut. Der Mitarbeiter sagt mir, dass ich für Udden einen Abholschein bräuchte. Ich dachte immer, zu Ikea fährt man hin, sucht sich was aus, nimmt es aus dem Regal. Na gut, so einfach ist es eben nicht. In der Küchenabteilung gibt es fünf oder mehr Beratungsplätze. Jeder ist mit Kunden besetzt, aber jeweils nur einem. Na, dann geh ich doch mal da hin. Endlich ist jemand frei. Sie sagt, den Abholschein bekäme ich nur an der Abholstation, nicht an einer der Beratungsstellen. Ah so.

An der Abholstation stehen vier Leute in der Schlange. Die Abholstation hat zwei Plätze für Mitarbeiter, besetzt ist aber nur einer. Die vorderste Kundin ist grad dran. Eine prototypische Münchner Schnatze. Blonde, kurze Haare, zwischen fünfunddreissig und vierzig. Hat Geld, sonst könnte sie sich keine der sündhaft teuren Münchner Wohnungen leisten. Und offensichtlich viel Zeit. Haarklein werden am Tresen die Teile für ihre Küche auseinandersortiert. Denn sie hat die Hälfte zur Lieferung bestellt, die andere Hälfte will sie abholen. Also wird bei jedem Teil diskutiert, wie sie denn damit verfahren will. Und natürlich, wie es genau aussehen soll. Glasfront? Welche Griffe? Nach zwanzig Minuten ist sie fertig. Ich hab ein paar Mal davon geträumt, sie mit einer kleinen Boden-Boden-Rakete zu eliminieren, wie sie Freischärler in aller Welt einsetzen, aber man ist ja zivilisiert. Also übe ich mich in Meditation. Atem zählen, achtsam die Umgebung betrachten. Über die Relativität nachsinnen. Was man eben so macht, wenn man viel Zeit hat.

Als sie fertig ist, kommt eine andere jüngere Frau. Sie regelt kurz ihre Angelegenheit, dann ist sie fertig. Löblich, aber leider selten.

Dann kommt ein Rentner. Er hat sich die Küche liefern lassen, aber ein "Belüftungsboden" fehlt. Die Monteure haben ihm gesagt, dass es am schnellsten weitergeht, wenn er das Teil selbst holt. Deswegen ist er hier. Das Teil rauszusuchen, ist gar nicht kompliziert. Der komplizierte Teil kommt jetzt:

Der Herr hat die Küche finanziert und geht davon aus, dass er das Teil jetzt abholen und kostenlos mitnehmen kann. Gehört ja schließlich zur Küche. Aber so einfach ist das bei Ikea nicht. Der Mitarbeiter erklärt ihm, dass man das so nicht verrechnen kann und dass es deswegen so läuft, dass ihm am Ende der Betrag, den er ja jetzt schon bezahlt haben wird, von der Rechnung für die Küche abgezogen wird. Die Diskussion geht hin und her. Irgendwann kommt zur Sprache, um welchen Betrag es eigentlich geht. Elf Euro! Da hat sich die lange Diskussion doch gelohnt. Es ging ja wirklich um was. Der Ikea-Konzern würde von einem Tag auf den anderen verarmen, wenn er bei solchen Beträgen einfach nachgibt.

Ich atme tief durch. Wieder das Bild von Raketen und Panzerfäusten im Kopf. Ich kann nichts dagegen tun.

Ich bin dran. Ich bekomme meinen Abholschein. Auf dem Abholschein ist eine Nummer, die wird später noch interessant. Ein Kleinteil, den Siphon, kann ich im Regallager abholen. Da ich mich im Ikea nicht auskenne, gehe ich durch die ganze Abteilung mit den Kleinteilen zum selberabholen (Tassen, Töpfe, Kissen …​). Nach einer Viertelstunde mäandern, inklusive einem netten Gang durch eine Abteilung mit Pflanzen, sehe ich in der Ferne ein Hochregallager. Das muss es sein. Regal 21, Abteilung 29. Sowas kann ich, Zahlen sind mein Ding!

Den Siphon und die noch abzuholenden Sachen bezahle ich an der Kasse und gehe mit einem weiteren Schein zum Abholtresen.

Da ist nicht mal eine Schlange. Toll. Ich stehe dran, nach ein paar Sekunden bemerkt mich der Mitarbeiter. Ohne aufzuschauen, zeigt er auf einen Monitor und sagt in einem leicht sächselnden Tonfall: "Sie gönnens abholn, wenn da die Nummer angezeischt wird". Auf dem Monitor steht eine Nummer. Ich schaue auf meinen Abholschein. Da steht eine andere Nummer. Also bin ich wohl noch nicht dran. Mir fällt ein, dass ich noch gar keinen Wagen habe. Ich nutze also die Zeit, um mich mit dem Aufzug zu verfahren. Ich erinnere mich, dass es da, wo ich mein Auto abgestellt habe, auch Einkaufswagen gab. Also fahre ich soweit wie möglich nach unten. Ich lande in einer leeren Etage des Parkhauses. Kein Auto weit und breit. Das ganze sieht ein bisschen aus wie aus einem Endzeit-Ego-Shooter.

Das einzige, was in der Etage steht, sind zwei Einkaufswägen. Kann man sogar ohne Münze nehmen. Ich nehm einen und fahr wieder hoch. Am Abholtresen ist meine Nummer immer noch nicht zu sehen und ich höre wieder denselben Spruch. Da fällt mir ein, dass der Mitarbeiter in der Küchenabteilung etwas von einem speziellen Lager gesagt hat. Ich sage dem Mitarbeiter, dass eventuell eine spezielle Vorgehensweise nötig ist. Er stimmt zu. Ab da habe ich gewonnen. Er holt mir die Spüle. Ich habe nur einen normalen Einkaufswagen, in den sie niemals reinpassen wird. Anstandslos gibt er mir den Einkaufswagen, mit dem er die Spüle geholt hat, einer von diesen Wagen, die nur eine Bodenplatte haben. Den anderen darf ich sogar stehenlassen.

Nach eineinhalb Stunden bin ich mit meinem Einkauf fertig. Nicht ganz mein Plan von "schnell hin, kurz abholen, weiterfahren". Aber knapp dran.

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