Was ist Formatradio? Ein Radiosender, der die immer gleiche Musik abspielt, um
so den Hörer in einer Wohlfühlblase aus Bekanntem einzulullen. Es soll zugleich
anregen (aber nicht zum Nachdenken) und andererseits die Werktätigen im
Neoliberalismus trösten, Hoffnung spenden und die Illusion von Freiheit für
Angestellte in der Arbeitsmühle bieten. Nicht umsonst verwendet es Slogans
wie "Raus aus dem Anzug, rein in die Lederkluft", "Wenn der Tag mal wieder
stressig war" oder "Alles was Du am Ende eines langen Tages brauchst".
Hinter den Kulissen wird die Musikauswahl von Software erledigt, die dafür
sorgt, dass der Brei schön gemischt ist (abwechselnd was "härteres" und
"Schmusesongs") und dass populäres (siehe die Liste weiter unten) oft, aber
nicht zu oft, drankommt.
Schön für die Betreiber ist auch, dass der Brei billig herzustellen ist. Die
Musikauswahl ist gut abgehangen, Recherche nach Neuem oder Aufregendem ist
unnötig, was Personal spart. Die Werbung kommt von Content-Netzwerken wie
Ratgeberjournal. Selbst die Nachrichten kann man fertig als Paket irgendwo
beziehen.
Was macht nun Formatradio aus? Die Sender, Bayern 3, Antenne Bayern, Radio Gong
etc. sind erstaunlich einheitlich und es gibt auffällige Merkmale, die sie
gemeinsam haben. Als da wären:
Land in Beschlag nehmen
Das Land, in dem der Sender heimatlich tut. Natürlich, ohne die Einwohner zu
fragen, ob sie das überhaupt gut finden. So wird aus Bayern dann einfach
"Radio-Gong-Land" oder "Antenne-Bayern-Land".
Sagen wer man ist. Und sagen wer man ist. Danach sagen, wer man ist
Alle paar Minuten wiederholen, was der Hörer da so hört. "Die geilsten Hits der
Achtziger." "Der Rocksender". Und so weiter. Hörer sind offensichtlich dumm und
müssen alle paar Minuten daran erinnert werden, wer sie sind und wo sie sind.
Alleinstellungsmerkmale schaffen
Sie sind eine kleine Radiobutze in einem Hinterhof? Trotzdem kann Ihr Sender der
größte weit und breit sein. Man muss es nur richtig machen. Zum Beispiel: "Wir
sind der Sender mit den Reggae-Metal-Hits der Sechziger Jahre!". Wetten, dass
Sie damit der einzige solche Sender weit
und breit sind?
Natürlich werden auf dem Sender dieselben Liedchen wie überall abgedudelt, aber
jetzt wenigstens als (gefühlter) Marktführer.
Ansagen gern mit Echo
Also: "Der Rocksender. Der Rocksender". Aus irgendwelchen Gründen soll das toll
klingen. Für mich klingt es eher wie der Ansager bei einem Karussel auf einem
einsamen Volksfest nachts um halb elf: "Und noch eine Runde. Los geht’s. Denn
das ist Spitze. Spitze."
Radarwarner
Damit das Volk einen lieb hat: Radarwarner. Damit die Raser weiterrasen können
und wissen, wo sie kurz vom Gas gehen müssen.
Wilden Lebensstil andeuten
Also z.B. "Bikertreffen" veranstalten, selbst wenn alle Redakteure und Sprecher
lieber VW T-Roc fahren.
Musikauswahl
Es gibt eine Menge Songs, die da unbedingt dazugehören.
Die sind absolut unvermeidlich:
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The Final Countdown von Europe. Unerläßlich zum Wecken der Werktätigen um sechs
Uhr morgens.
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Eye of the Tiger von Survivor. Der Song aus Rocky halt.
-
Burning Heart von Survivor. Auch aus Rocky.
Die anderen gehören zur Allgemeinbildung Formatradio:
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Keep the Faith von Bon Jovi.
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You Give Love a Bad Name. Auch von Bon Jovi.
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Living on a Prayer. Noch mal von Bon Jovi. Ohne die wäre Formatradio in
seiner heutigen Form nicht denkbar.
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Juke Box Hero von Foreigner.
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You’re the Voice von John Farnham.
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Boys of Summer von Don Henley. Eigentlich der einzige Song aus der Liste,
den ich mag.
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St. Elmo’s Fire von John Parr.
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Highway to Hell von AC/DC. Für die ganz harten Jungs unter den
Versicherungssachbearbeitern.
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Photograph von Nickelback. Für Versicherungssachbearbeiter, die auch mal
voll Gefühle zeigen können.
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Take these Broken Wings von Mr. Mister.
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Davy’s on the Road again von Manfred Mann’s Earth Band.
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I Came for You, auch von Manfred Mann’s Earth Band.
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I Just Died in Your Arms Tonight von Cutting Crew.
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Highway to the Danger Zone von Kenny Loggins.
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We Built This City von Starship.
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Walk of Life von den Dire Straits.
Die Liste ist bestimmt nicht vollständig, aber wer keinen dieser Songs kennt,
hat vermutlich noch nie ein Radio besessen oder niemals in einem Betrieb
gearbeitet, der Zwangsbeschallung laufen lässt.
Warum?
Für die Betreiber: Weil es billig herzustellen ist und über Werbung eine Menge
Geld einbringt. Für die Hörer: Weil man als Hörer nicht nachdenken muss, sondern
sich einfach in der Wohlfühlblase tragen lassen kann. Für die Politik: Weil dort
keine kritischen Fragen gestellt werden und das Radio die Leute nicht auf
unpassende Gedanken bringt. Für die Wirtschaft: Weil es die Leute beim
Arbeiten ruhigstellt, wie die Hühner in der Legebatterie. Und schließlich für
Bryan Adams, weil er sich von den Tantiemen
viele schöne Dinge kaufen kann.