Formatradio

Formatradio

Was ist Formatradio? Ein Radiosender, der die immer gleiche Musik abspielt, um so den Hörer in einer Wohlfühlblase aus Bekanntem einzulullen. Es soll zugleich anregen (aber nicht zum Nachdenken) und andererseits die Werktätigen im Neoliberalismus trösten, Hoffnung spenden und die Illusion von Freiheit für Angestellte in der Arbeitsmühle bieten. Nicht umsonst verwendet es Slogans wie "Raus aus dem Anzug, rein in die Lederkluft", "Wenn der Tag mal wieder stressig war" oder "Alles was Du am Ende eines langen Tages brauchst".[1]

Hinter den Kulissen wird die Musikauswahl von Software erledigt, die dafür sorgt, dass der Brei schön gemischt ist (abwechselnd was "härteres" und "Schmusesongs") und dass populäres (siehe die Liste weiter unten) oft, aber nicht zu oft, drankommt.

Schön für die Betreiber ist auch, dass der Brei billig herzustellen ist. Die Musikauswahl ist gut abgehangen, Recherche nach Neuem oder Aufregendem ist unnötig, was Personal spart. Die Werbung kommt von Content-Netzwerken wie Ratgeberjournal. Selbst die Nachrichten kann man fertig als Paket irgendwo beziehen.

Was macht nun Formatradio aus? Die Sender, Bayern 3, Antenne Bayern, Radio Gong etc. sind erstaunlich einheitlich und es gibt auffällige Merkmale, die sie gemeinsam haben. Als da wären:

Land in Beschlag nehmen

Das Land, in dem der Sender heimatlich tut. Natürlich, ohne die Einwohner zu fragen, ob sie das überhaupt gut finden. So wird aus Bayern dann einfach "Radio-Gong-Land" oder "Antenne-Bayern-Land".

Sagen wer man ist. Und sagen wer man ist. Danach sagen, wer man ist

Alle paar Minuten wiederholen, was der Hörer da so hört. "Die geilsten Hits der Achtziger." "Der Rocksender". Und so weiter. Hörer sind offensichtlich dumm und müssen alle paar Minuten daran erinnert werden, wer sie sind und wo sie sind.

Alleinstellungsmerkmale schaffen

Sie sind eine kleine Radiobutze in einem Hinterhof? Trotzdem kann Ihr Sender der größte weit und breit sein. Man muss es nur richtig machen. Zum Beispiel: "Wir sind der Sender mit den Reggae-Metal-Hits der Sechziger Jahre!". Wetten, dass Sie damit[2] der einzige solche Sender weit und breit sind?

Natürlich werden auf dem Sender dieselben Liedchen wie überall abgedudelt, aber jetzt wenigstens als (gefühlter) Marktführer.

Ansagen gern mit Echo

Also: "Der Rocksender. Der Rocksender". Aus irgendwelchen Gründen soll das toll klingen. Für mich klingt es eher wie der Ansager bei einem Karussel auf einem einsamen Volksfest nachts um halb elf: "Und noch eine Runde. Los geht’s. Denn das ist Spitze. Spitze."

Radarwarner

Damit das Volk einen lieb hat: Radarwarner. Damit die Raser weiterrasen können und wissen, wo sie kurz vom Gas gehen müssen.

Wilden Lebensstil andeuten

Also z.B. "Bikertreffen" veranstalten, selbst wenn alle Redakteure und Sprecher lieber VW T-Roc fahren.

Musikauswahl

Es gibt eine Menge Songs, die da unbedingt dazugehören.

Die sind absolut unvermeidlich:

  • The Final Countdown von Europe. Unerläßlich zum Wecken der Werktätigen um sechs Uhr morgens.

  • Eye of the Tiger von Survivor. Der Song aus Rocky halt.

  • Burning Heart von Survivor. Auch aus Rocky.

Die anderen gehören zur Allgemeinbildung Formatradio:[3]

  • Keep the Faith von Bon Jovi.

  • You Give Love a Bad Name. Auch von Bon Jovi.

  • Living on a Prayer. Noch mal von Bon Jovi. Ohne die wäre Formatradio in seiner heutigen Form nicht denkbar.

  • Juke Box Hero von Foreigner.

  • You’re the Voice von John Farnham.

  • Boys of Summer von Don Henley. Eigentlich der einzige Song aus der Liste, den ich mag.

  • St. Elmo’s Fire von John Parr.

  • Highway to Hell von AC/DC. Für die ganz harten Jungs unter den Versicherungssachbearbeitern.

  • Photograph von Nickelback. Für Versicherungssachbearbeiter, die auch mal voll Gefühle zeigen können.

  • Take these Broken Wings von Mr. Mister.

  • Davy’s on the Road again von Manfred Mann’s Earth Band.

  • I Came for You, auch von Manfred Mann’s Earth Band.

  • I Just Died in Your Arms Tonight von Cutting Crew.

  • Highway to the Danger Zone von Kenny Loggins.

  • We Built This City von Starship.

  • Walk of Life von den Dire Straits.

Die Liste ist bestimmt nicht vollständig, aber wer keinen dieser Songs kennt, hat vermutlich noch nie ein Radio besessen oder niemals in einem Betrieb gearbeitet, der Zwangsbeschallung laufen lässt.

Warum?

Für die Betreiber: Weil es billig herzustellen ist und über Werbung eine Menge Geld einbringt. Für die Hörer: Weil man als Hörer nicht nachdenken muss, sondern sich einfach in der Wohlfühlblase tragen lassen kann. Für die Politik: Weil dort keine kritischen Fragen gestellt werden und das Radio die Leute nicht auf unpassende Gedanken bringt. Für die Wirtschaft: Weil es die Leute beim Arbeiten ruhigstellt, wie die Hühner in der Legebatterie. Und schließlich für Bryan Adams[4], weil er sich von den Tantiemen viele schöne Dinge kaufen kann.


1. Alle zitiert aus Radio Gong 97,1.
2. Aus naheliegenden Gründen.
3. Die Groß-/Kleinschreibung ist etwas willkürlich, man findet im Internet verschiedene Varianten.
4. Ich konnte mich nicht entscheiden, wen ich hier nehmen soll, also hab ich einfach gewürfelt und raus kam Bryan Adams. Es hätte auch Jon Bon Jovi oder jede(n) andere(n) treffen können.

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