B2RUN München

Wir (Team Lantiq) machen uns auf den Weg zum B2RUN in München. Ab Haltestelle Odeonsplatz sieht man deutlich, dass er eine Menge Leute anzieht. Viele in der U-Bahn haben Laufklamotten an, manche schon mit der Starternummer drauf. Oder sie pinnen sich die Starternummer im Zug aufs T-Shirt. Ich nicht, weil ich die Anleitung nicht durchgelesen habe und deshalb nicht weiss, dass man ohne die angepinnte Starternummer nicht durch die Schranke kommen wird. So werd ich unser Team später an der Schranke aufhalten, weil ich erst meine Starternummer aus dem Rucksack pulen muss.

Aus der U-Bahn geht es zu unserem Sammelpunkt im Stadion. Ab dann heisst es warten. Wir sind irgendwann um fünf herum am Sammelpunkt, der Start ist um halb acht. Wobei, wie ich später erfahren werde, Start nicht heisst, dass es dann losgeht.

Also erstmal warten. Überall läuft laute Animationsmusik und eine Einpeitscherin überzeugt einen Trupp Leute, die Arme auf ihr Kommando in alle möglichen Richtungen zu bewegen und auf der Stelle zu hüpfen.

Ich setze mich auf eine Treppe und schau mir das Treiben an. Das Olympiastadion ist wirklich beeindruckend. Riesengross, mit Unmengen von Sitzplätzen. Und die weltbekannte Zeltdachkonstruktion, die ich zum erstenmal in meinem Leben aus der Nähe sehe (und nicht nur vom Georg-Brauchle-Ring aus), sieht wirklich klasse aus.

Irgendwann geht es dann los Richtung Start. Langsam, aber größtenteils diszipliniert drängt sich die Masse zum Startpunkt. Aber die Disziplin kennt auch Ausnahmen. Ein Ordner versucht die Leute von einer Abkürzung außen um den Zaun herum abzuhalten, ohne Erfolg.

Irgendwann sind wir dann am Startplatz, der mit dem Zwangsfrohsinn von Radio Gong beballert wird. Nicht nur dass sie uns mit Hits quälen, sie wollen auch noch, dass wir auf Kommando hüpfen, weil wir ja alle so gut drauf sind. Mir ist es zu blöd, ich leg mich auf die Wiese und warte. Es ist immer interessant, Münchnern zuzuschauen.

Das faszinierende an München ist die Mischung: Leute, die vor Geld kaum noch laufen können, Leute, denen es normal gut geht (wie mir) und arme Leute. Ich bin ja aus Regensburg schon einiges gewohnt, auch da ist ja die Porsche-Cayenne-Dichte schon recht hoch. Aber in München gibt es Leute, die sind einfach superreich und superwichtig. Klar sieht man das am Auto und an den gepflegten längeren grauen Haaren (bei den Damen blond, gern auch noch mit 70). Aber man sieht es auch am Verhalten. Da muss der Bus halt warten, wenn man Schatzi vor dem Hofgarten aus dem Benz-Cabrio (das für München fast ein Arme-Leute-Auto ist) aussteigen lässt. Die Selbstverständlichkeit, mit der sich der Reichtum hier seine Rechte nimmt, unterscheidet München für mich deutlich von anderen Städten (knapp gefolgt von Regensburg, das immer mehr zu einem Mini-München wird).

Hier sind natürlich die Mitarbeiter der Münchner Firmen. Leute aus der IT-Branche, Ingenieure, Mitarbeiter von Versicherungen. Menschen, die in ihrer Arbeit von Success Stories, Corporate Identity, Work-Life-Balance und was weiss ich noch reden, Meetings haben und bei einem Global Player arbeiten.

Und dazwischen Leute, für die Pfandflaschen zum Lebensunterhalt beitragen. Einer hat einen Kinderwagen umgebaut, einen sogenannten „Jogger“, er ist mit prallgefüllten Plastiktüten voller Plastikflaschen beladen. Ein anderer hat sein Fahrrad über und über mit solchen Tüten bepackt. Ein älterer Herr hat sich fürs Flaschensammeln fein gemacht, er trägt ein Hemd.

Als ich frisch in München war, dachte ich, dass man die Armen da irgendwie aus dem Stadtbild entfernt hat, ähnlich wie in Regensburg. In anderen Städten wie Nürnberg oder Hamburg sieht man sie mitten im Stadtbild, in Hamburg zum Beispiel am piekfeinen Jungfernstieg. In München muss man genauer hinschauen, aber natürlich gibt es sie auch dort. Und hier, beim B2RUN mit all den erfolgreichen, glücklichen, businessorientierten Menschen wirkt der Kontrast natürlich extrem.

So langsam nähern wir uns dem Startschuss, der, wie Gong unermüdlich erzählt, von Joey Kelly abgegeben werden wird. „Und mit welcher Hand wirst Du den Startschuss abgeben, Joey?“ „Wie ist das, wenn man einen Startschuss abgibt?“ „Hast Du das schon oft gemacht, Joey?“ Und schließlich gibt Joey den Startschuss, um halb acht.

Zu sehen ist erstmal nichts, dann tauchen am gegenüberliegenen Ufer die ersten Läufer auf. Sieht schnell aus. Der erste wird die 6,4 km in 20:25 zurücklegen, das sind über 18 km/h. Ein Durchschnittstempo, das ich mit dem Fahrrad erreiche, wenn ich mich ranhalte.

Nach dem ersten Schub kommt erstmal eine Lücke von ein, zwei Minuten, damit die schnellsten in Ruhe laufen können. Dann kommt der Rest. Die Aufstellung ist in Blöcken, jeder Block ist mit der Zeit gekennzeichnet, die man glaubt, zu brauchen. Ich würde mich in den letzten Block stellen, > 50 Minuten. Ganz hinten bei den Läufern, aber vor den Nordic Walkern. So mal ich mir das aus, aber wie man sieht, wird dieser Plan nicht aufgehen. Im Moment gibt es aber noch keinen Grund, sich anzustellen. Ungeachtet der Tatsache, dass vorne Menschen zu laufen anfangen (wie man an der Masse der Leute sieht, die am gegenüberliegenden Seeufer entlanglaufen), bewegt sich die Menschenmasse erstmal gar nicht. Ich bleibe am See liegen und sehe mir die Läufer an.

Nach einer halben Stunde kommt so etwas wie Bewegung in die Masse. Ganz langsam scheint sich das Ganze nach vorne zu bewegen. Zeit, sich anzustellen. Ich stehe hinten an der Masse und wir bewegen uns in Trippelschritten nach vorne. Münchner sein heisst Schlange stehen. Auf dem Ring, im Biergarten, im Geschäft und eben auch hier, beim Laufen.

So langsam geht es auf den Start zu. Der Platz wird schmaler, irgendwann ist das Starttor zu sehen, ein aufblasbares Gummiding. Dann kann man sehen, dass Leute 50 m vor einem laufen. Also muss es irgendwann losgehen. Am Starttor ist eine Anzeige, ich bin über eine Stunde nach dem Startschuss hier.

Und jetzt gehts los. Es sind viele Leute unterwegs, doch theoretisch nicht so viele, dass es ein Problem sein sollte. Aber ich habe nicht mit den Nordic Walkern gerechnet. Theoretisch sollten die hinter den langsamsten Läufern starten, aber hier ist alles voll von Ihnen. Und sie laufen nebeneinander. Und sie laufen mitten im Weg. Also muss man immer wieder um sie herumspurten. Irgendjemand ist wohl einer Nordic-Walkerin auf ihren Stecken getreten, er ist ihr aus der Hand gefallen. Sie jammert.

Nächstes Hindernis: Drei Bieratzen, die in Seelenruhe auf der Jogging-Strecke, natürlich nebeneinander entlangschlendern, jeder einen Plastikbecher Bier in der Hand. Warum auch nicht?

Dann kommen die ersten, die gehen. Ob sie aufgegeben haben oder nie vorhatten zu laufen ist nicht klar. Natürlich gehen sie nicht rechts, sondern in der Mitte.

Nach zwei Kilometern wird es etwas übersichtlicher. Das ist auch dringend nötig, denn die vielen Spurts und Umrundungen haben Kraft gekostet. Ich falle in mein Standardtempo zurück. Ab jetzt ist das ganze Automatik. Dass ich ankommen werde, weiss ich. Ich geniesse die Sache einfach. Langsam wird es dunkel, ich laufe und laufe. Nur beim Endspurt geb ich noch mal Gas, auch schon, um eine Nordic-Walkerin zu überholen, die die ganze Zeit gleichauf war. Ich bin kein schneller Läufer und sie eine ziemlich schnelle Walkerin.

Es geht in den Eingang des Olympiastadions, dann kommt das Ziel. Der Anblick ist fantastisch. Ein hellerleuchteter Trichter, voll mit Menschen (ok, die Ränge sind weitgehend leer, aber der Boden des Stadiums wuselt nur so). Ich habe 56 Minuten gebraucht. Das ist ok, ich mach das ja nicht für Geld. Und wenn nichts dazwischen kommt, bin ich nächstes Jahr wieder dabei.

links

social