Face Improvement

Mit dem Prospekt hatte alles angefangen. Edel aufgemacht, aber erkennbar eine Massensendung. Wie wichtig heutzutage das Aussehen sei. Ein perfektes Gesicht die Eintrittskarte in ein erfolgreiches Berufs- und Privatleben. Erfolg. Schönheit. Und da ließe sich heute so viel machen. Jedes Gesicht sei verbesserbar. Zu günstigen Preisen. Wer da nicht mitmache, vergebe Chancen und würde später bereuen, wenn andere ihn überholten. Und dazu: Risikolos, schmerzfrei.

Er wunderte sich, dachte sich aber nichts weiter dabei, warf die edel gestaltete Broschüre weg. Nicht, dass er sein Gesicht für das hübscheste Gesicht der Welt gehalten hätte, aber er war damit zufrieden. Er sah nicht aus wie George Clooney oder Brad Pitt. (Die waren nicht mehr die aktuellsten, fielen ihm dennoch als erstes ein, wenn er über Aussehen und Stil nachdachte. Was er selten tat, weil er anderes zu tun hatte, wie etwa, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.) Aber er war auch nicht wirklich hässlich. Mit seinem Gesicht ließ sich leben. Vorstandsetagen waren damit in diesen Zeiten vielleicht nicht zu erklimmen, doch das war ihm egal.

Ziemlich genau eine Woche später klingelte das Telefon. Er nahm den Anruf an. Am anderen Ende der Leitung war eine Stimme, die besorgt klang, aber es war sofort zu erkennen, dass die Besorgtheit einstudiert war. Wie bei einem Bestattungsunternehmer, dachte er, nur nicht ganz so sorgen- und weihevoll.
"Guten Tag, Herr Marzahn. Wir möchten mit Ihnen über ein Problem sprechen, das ihr Leben belastet und ihre Entfaltungmöglichkeiten behindert. Wir können ihnen helfen, das Problem in den Griff zu bekommen, selbstverständlich bei Wahrung vollster Diskretion".
Er war baff. "Es würde mir weiterhelfen, wenn ich wüßte, von welchem Problem wir sprechen." , sagte er.
"Nun ja." Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang noch etwas verständnisvoller. "Sie wissen ja, wie wichtig heutzutage gutes Aussehen ist."
"Danke für den Hinweis" , sagte er. "Aber was hat das mit mir zu tun?"
"Nun ja, wir kennen ihre berufliche Stellung, und, ehrlich gesagt, Herr Marzahn, da ist noch mehr drin, wenn Sie verstehen."
"Oooch, ich bin mit meinem Job recht zufrieden."
"Zufrieden sein sollte Ihnen aber nicht reichen. Bei ihren Perspektiven. Ein Aufstieg ins mittlere, vielleicht sogar höhere Management sollte für Sie locker drin sein. Aaaber. Sie müssten ein paar kleine Veränderungen vornehmen lassen."
"Was für Veränderungen? Woran?"
"Zum Beispiel ihre Nase. Die ist nicht ganz gerade. Und ihre Augenbrauen könnten auch ausdrucksvoller sein. Und dabei sind Augenbrauen, die Souveränität ausstrahlen, doch gerade im heutigen Berufsleben (die Konkurrenz sei hart und da zähle der erste Eindruck umso mehr) sehr wichtig. Und zudem sind makellose Zähne wichtig. Ihre sind in Ordnung, aber eben keine Erfolgszähne, wenn ich mal so sagen darf. Einige kleine Korrekturen, in einer verschwiegenen Klinik durchgeführt, würden einen neuen Menschen aus Ihnen machen."
"NEIN DANKE!" Er legte auf.

Nach weiteren Wochen voller Anrufe besorgter Call-Center-Mitarbeiter einschließlich eines Hausbesuchs eines freundlichen, besorgt aussehenden jungen Mannes, der ihm sagte, er habe ihn sich selber mal ansehen wollen und oh ja, die vorgeschlagenen Korrekturen seien sinnvoll, jetzt wo er ihn so vor sich sehe, hatte er genug.

Zu den aggressiven Angeboten für Schönheits-OPs kam noch die Flut von Werbung. Für alles mögliche. Was hatte sich in letzter Zeit getan, dass alle diese Leute sich an ihn wandten und versuchten, ihm ihre Produkte, Wundermittel und Kuren anzudrehen? Er war ratlos. Keine Ahnung. Er hatte auch nicht besonders viel Geld, war nicht das klassische Werbeopfer. Es reichte zum Leben, aber sicher nicht für Gesichtsoperationen in Kliniken mit so klangvollen Namen wie "Marienberg-Schwarzenthal". Die Daten in den großen Datensammlungen wiesen seine Wohngegend als eher normal aus. Es gab sogar ein paar richtig arme Menschen, allerdings ein Stück weiter die Straße hinunter.

Vollends genug hatte er, als auf Internetseiten im Werbeblock, neben Links wie Sehen sie selbst wie diese Hollywood-Stars gealtert sind. Weinen sie nicht, wenn sie Nummer neun sehen, ein Foto von ihm auftauchte. Sein Gesicht, verschiedene Stellen mit roten Kreisen markiert. Dazu der Text: Wenn Sie diese Problemzonen korrigieren lassen wird sich Ihr Leben innerhalb von Stunden zum Besseren wenden. Tun Sie diesen 1 Schritt sofort!

Als erstes rief er den Datenschutzbeauftragten an. Den es tatsächlich noch gab. Wie er gleich herausfinden würde, allerdings nur noch pro forma. Der druckste am Telefon nur herum, sprach von "Verantwortlichkeiten" und gab zu, dass er seinen Schreibtisch in der Verwaltung nur bekommen habe, um die Leute zu beruhigen. Was die Realität anginge seien ihm die Hände gebunden.

Er setzte sich an den Computer, öffnete den Browser, startete die Internetsuche und gab ein: Gesichtsoperation, Verbesserung, Hausbesuche. Die Antwort war eine ganze Flut von Fundstellen:

…​war bei mir auch schon dreimal. Krumme Nase, Kinn nich markant genug. Hab ihn rausgeschmissen.

Mann, die nerven. Rufen seit Wochen an.

Sagen nie, von wem sie anrufen. Hab aber rausgefunden, dass die Firma FaceImprove heisst. Hab mal hingeschaut. Unauffälliges Büro, dezentes Klingelschild. Fette Autos davor. Denen sollte mal einer die Meinung geigen.

Genau das würde er machen. Marzahn beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und machte sich auf den Weg zur Firma FaceImprove. Den Typen würde er mal die Meinung sagen.


Mario Schnugg parkte seinen Wagen. Schickes neues Ding. Das war eine sehr angenehme Seite des beruflichen Erfolgs. Er hatte noch den Geruch der Inneneinrichtung in der Nase. Alles edel und stylisch, Navigationssystem inklusive. Die Farbe: anthrazit. Dränglerfarbe, sagten manche. Neider. Er war erfolgreich und das Auto war die Belohnung. Und auf der Autobahn konnte man sich mit so einem Wagen durchsetzen. Wenn die anderen Zeit hatten, war das ihre Sache. Er war beruflich voll eingespannt und führte ein Leben auf der Überholspur. Auf der Autobahn wie im richtigen Leben.

Der Erfolg der Biometriesoftware war zu einem nicht unerheblichen Teil Ergebnis seiner Arbeit. Viele, viele Verkaufsgespräche. Teure Abendessen und Theaterbesuche mit Politikern, die er im Privatleben nicht einmal angeschaut hätte. Positive Berichte in Fernsehsendern, die das "neue Niveau an Sicherheit" lobten (und im Abspann für 14 Sekunden einen Kritiker zu Wort kommen liessen, der da seine abstrusen Meinungen zum Besten geben konnte. Musste sein, wegen der Ausgewogenheit.) Das alles war zu einem guten Teil sein Achievement und jetzt erntete er die Früchte.

Sein Jobtitel brachte es auf den Punkt. Perfect Looks Evangelist. Treffender konnte man es nicht formulieren. Er war ein Botschafter, ach was, ein Jünger der Schönheit. Hier, um den Menschen, den hässlichen Maden, bei der Verpuppung zu helfen und sie als strahlende Schmetterlinge wieder auferstehen zu lassen. (Seine Kenntnisse in Biologie waren ebenso schwach wie seine Beherrschung der Poesie, was er jedoch durch ein raumfüllendes Ego mehr als ausglich.)

Er selbst war ein wandelndes Beispiel für diese Grundpfeiler des Erfolgs. Ausgesuchte, elegante aber doch legere Kleidung war ein Muss. Der regelmäßige Besuch im Fitnessstudio sowieso Pflicht. Schließlich hatten auch einige (kleinere, mehr war ja bei ihm nicht nötig) Schönheitsoperationen zu seinem Karriereweg als Powerseller beigetragen.

Die Gründung von FaceImprove als hundertprozentiger Tochter von FaceVision war ein logischer Schritt gewesen. Er war als einer der ersten dabei gewesen. Angestellter Nummer zehn. Da hatte er den richtigen Riecher gehabt. Finanziell hatte er diesen Schritt sowieso noch nie bereut.

Die Daten waren schon da. Sicher, die Begründung war der 11.9. gewesen. Der Tag, der alles veränderte. Aber mit jedem Anschlag kamen unweigerlich die Forderungen nach mehr Überwachung: Videoüberwachung. Biometrie. Abhören. Mitlesen. Bewegungsmuster und Emotionen mit KI analysieren. FaceVision war die Firma der Stunde. Zur richtigen Zeit an der Goldgrube, mit einem kleinen, aber wichtigen Vorsprung vor der Konkurrenz. Ihre Slogans hatten die Politiker überzeugt, die sie direkt (natürlich mit Zustimmung von FaceVision) in ihren Wahlkämpfen verkündeten: Eure Gesichter für die Sicherheit! Gesicht zeigen für Freiheit und Sicherheit! Wer sich nicht zeigt, bringt uns alle in Gefahr!

Aber wenn die Daten sowieso da waren? Sollte man sie einfach ungenutzt liegenlassen? Nein, da war einiges zu verdienen. Das Geschäft mit der inneren Sicherheit lief. Doch aus Gesichtsdaten ließ sich noch so viel mehr machen. Aus wirtschaftlicher Sicht (gab es eine andere?) waren die Daten viel zu schade, um sie nur für die Überwachung zu verwenden.

FaceImprove war ein Weg. Eine hundertprozentige Tochter der FaceVision, die, von diesem Geschäftsmodell unbelastet, weiterhin als Verteidigerin der inneren Sicherheit auftreten konnte. Auf Basis der Videoüberwachung Schönheitsoperationen vorschlagen. Es gab so viel zu sehen auf den Aufnahmen: Unsymmetrische Münder. Fliehende Kinne. Große Nasen. Schiefe Nasen. Schlupflider. Tränensäcke. Das ganze Panoptikum menschlicher Unzulänglichkeiten.

Fast niemand war hundertprozentig von seinem Gesicht überzeugt, und wenn man die Leute richtig auf ihre optischen Makel ansprach, waren viele zu überzeugen, die Kosten und die Schmerzen einer Operation auf sich zu nehmen. Um mehr Erfolg zu haben. Um überhaupt mal Erfolg zu haben.

Ein anderer Zweig des Firmengeflechts war FacePredict. Konsumvorhersage anhand der Biometrie. Der alte Hut, reloaded: Den Charakter eines Menschen aus dem Gesicht ablesen: Hohe Stirn, zarte Kieferregion: Der ideale Kandidat für unser neues hochwertiges Büchersortiment. Goethe oder vieleicht sogar Paulo Coelho. Kräftige Kieferregion: Fussball, Malle, Pickup und Bier. Und so weiter. Schnugg hielt das für Humbug, hielt aber seine Klappe. Man beisst nicht in die Hand, die einen füttert. Die hatten ein paar Esoteriker aus dem Freundeskreis der Chefs von FaceVision und FaceImprove angestellt und verdienten erstaunlicherweise ganz gutes Geld. Da war doch nichts gegen zu sagen.

Und so hatten diese Projekte ihren Lauf genommen. Die Firmen waren gewachsen und verdienten prächtig. Oben drauf gab es noch Knete vom Staat. Nicht so öffentlich wie andere Private/Public Partnerships, dafür wirkungsvoller.

Die Daten, die für den Personalausweis gesammelt wurden ("Wir versichern ihnen, dass die Daten ausschließlich ihrer und unserer aller Sicherheit dienen. Ein Missbrauch liegt in niemandens Interesse und kann darüber hinaus auch mit technischen Mitteln sicher ausgeschlossen werden") nahmen ihren Weg in die Computer der Konzerne und der professionellen Datensammler. Allen voran FaceVision and Friends. Sie ergänzten die Aufnahmen unzähliger Überwachungskameras in Fußgängerzonen, in Kaufhäusern, an Bahnhöfen. Überall, wo es im Namen der Sicherheit etwas zu sehen gab. Und da gab es keine weißen Flecken, denn Sicherheit ist nur vollständig, wenn wir alles sehen können.

Die Einführung von Hartz 7 hatte die Binnennachfrage fast vollständig abgewürgt. Für die Minister und anderen hohen Tiere im Wirtschafts- und verwandten Ministerien klangen FaceImprove und FacePredict wie zwei Vorhaben, mit denen die Konsumlaune wieder anspringen könnte. Eine Sicht der Dinge, die von der großen Sales-Abteilung von FaceImprove (sie hatten etwa zwanzigmal soviele Verkäufer wie Softwareentwickler) eifrig unterstützt wurde.

Die Leute hatten ja Vertrauen in die Zukunft, sie wussten es nur nicht. Da war ein kleiner Anstoss nötig, ein Tip in die richtige Richtung. Denn so konnte es nicht weitergehen. Die Leute gaben das Geld nicht aus, das sie nicht hatten. So konnte Wirtschaft nicht funktionieren.

Also war jede Art von Konsumförderung willkommen. (Aus dem Lehrbuch der Wirtschaftswissenschaften: Mangelnde Entlohnung der Bevölkerung lässt sich jederzeit durch besseres Marketing und mehr Werbung kompensieren.) Gern auch mit dubiosen Modellen wie denen von FacePredict und FaceImprove. Erst wurden sie geduldet, dann gefördert. Mit Milliarden. (Angenehmer Nebeneffekt: Wer diese Firmen als Politiker förderte, konnte später, nach einer kleinen Schamfrist, mit einem nicht sonderlich anstrengenden, aber gut dotierten Aufsichtsratsposten rechnen.)


Uttstein erwartete ihn bereits. "Die Einführungsphase läuft ja bestens. Saubere Arbeit, Herr Schnugg."
"Danke für die Blumen. Aber ohne eine Firma wie FaceVision im Rücken (denn FaceVision war immer noch die große Bank im Hintergrund, die Mutter all dieser Projekte) wäre das nicht möglich gewesen." Immer schön bescheiden bleiben. Lob annehmen, aber dem Lobenden ein positives Feedback vermitteln, das ihn ebenso gut dastehen liess. All die Managementratgeber und Coachings hatten sich gelohnt, fand er.
"Ich denke, in Deutschland kriegen wir die Sache soweit hin. Jetzt kommt es auf die transatlantische Kooperation an. Sie fliegen am Freitag nach New York", sagte Uttstein.
Uups. Freitag? Da hatte eigentlich andere Pläne. "Ok. Ich denke auch, dass das ein wichtiger Termin ist und dass wir da eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten schaffen können, wenn wir die Sache richtig angehen."
Uttstein sagte: "Gut, dann sind wir uns einig. Lassen Sie alles soweit vorbereiten. Und dann: Viel Glück."

Schnugg fühlte sogar als erfahrener Vertriebler eine ganz leichte Aufregung. Natürlich nicht als Angst, sondern als Ansporn. Der Termin war wichtig. Sehr wichtig. Wenn er das rockte, standen ihm alle Wege offen. Vielleicht bis nach ganz oben. The Sky is the Limit.


Da war der Typ. Er wusste nicht, ob der direkt für die aggressive Werbung verantwortlich war. Aber er war der, den er ansprechen konnte, weil er gerade aus dem Gebäude kam. Die anderen verbargen sich in ihren Büros, hinter Wachleuten. Unerreichbar. Der hier war erreichbar.
"Hallo! Ich würde sie gern kurz sprechen."
Ein blasierter Blick, als müsse Schnugg etwas entsetzlich ekliges, zugleich aber unendlich minderwertiges anschauen. "Was gibt es denn?"
"Würden Sie und ihre Firma mich gefälligst in Ruhe lassen? "Mit ihren Angeboten für Schönheits-OPs und dem ganzen sonstigen Werbedreck. Ich will keine Gesichts-OP. Ich will meine Ruhe!"
"Och, das tut mir aber leid.", sagte er und meinte kein Wort davon. Dann, er konnte es sich einfach nicht verkneifen: "Obwohl sie wirklich eine gebrauchen könnten."


Der Typ war ja ganz schön aggressiv gewesen. Bis die Sicherheitsleute kapiert hatten, was los war und ihn überwätigt hatten, hatte es doch eine gute halbe Minute gedauert. Dafür mochte er jetzt nicht in seiner Haut stecken, der Wachdienst würde sich auf seine Anweisung noch ein paar Minuten mit ihm beschäftigen, bevor sie ihn der Polizei übergaben. Ein paar gebrochene Rippen waren das mindeste an Wiedergutmachung.

Der Typ hatte ihn sauber erwischt. Er befühlte sein Gesicht. Sein Auge begann zuzuschwellen und seine Backe pochte, wie wenn eine Zwergenarmee dort gerade ein neues Bergwerk eröffnet hätte. Aber was solls. Er hatte keine Zeit sich darum zu kümmern. Der Arzt sollte das kurz anschauen und dann würde er sich auf den Termin in New York vorbereiten müssen. Das ganze war lästig, aber es gab Schlimmeres. Zum Beispiel, dass das Projekt platzen könnte.

Nach einem kurzen Aufenthalt beim Betriebsarzt war er nun am Flughafen. Er reihte sich in die Schlange vor dem Scannerportal ein. Das dauerte. Vier Plätze vor ihm diskutierte eine Frau mit den Sicherheitsbeamten. Sie sollte ihr Kopftuch abnehmen und aufhören zu lächeln, wurde ihr gesagt, sonst könne die Software sie nicht erkennen und ihr Urlaub sei dann eben abgeblasen. Wie sich die Leute auch immer anstellten, dachte er. Da macht man die Welt sicherer und das war der Dank. Statt dass die Leute froh waren, dass alles automatisch ging (und ihm und FaceVision einen schönen Batzen Geld einbrachte), moserten sie herum. Sie mussten denselben Gesichtsausdruck annehmen, wie bei der Referenzaufnahme, sie durften keine Kopftücher oder großen Hüte tragen und wer sich einen massiven Schnurbart abrasiert hatte oder wachsen liess, konnte halt auch schon mal Schwierigkeiten bekommen.

Endlich ging es weiter. Die Leute vor ihm hielten sich zur Abwechslung mal an die Regeln, mit ihnen gab es keine Problem. Dann war Mario Schnugg an der Reihe. Er stellte sich vor den Scanner und wartete auf das Zeichen für die Freigabe. Ein wenig stolz war er schon, von der eigenen Software geprüft zu werden.

Mit einem hässlichen Ton signalisierte die Anlage, dass er abgelehnt sei. Das Gesicht vor dem Scanner entspreche nicht dem Referenzbild. Das sagte ihm der Sicherheitsbeamte auch, wenn auch mit anderen Worten. Er packte ihn unsanft am Arm. (Widerstand war keine gute Idee, vor mehreren hundert Augenpaaren im Flughafen mit dem Elektroschocker behandelt zu werden und sich dabei in die Hose zu machen, entsprach nicht seinen Vorstellungen von einem souveränen Auftritt.)
"Aber sehen sie denn nicht, dass ich es bin?"
"Nein", sagte der Sicherheitsbeamte: "Ich sehe nur, dass der Scanner sie abweist."
"Aber ich hatte eine Schlägerei."
"Sehe ich, ist aber nicht mein Problem."
"Vielleicht weist mich die Anlage deswegen ab."
"Kann nicht sein. Die ist von FaceVision und hundert Prozent sicher, hamm die gesagt. So sicher, dass wir uns auf nichts anderes verlassen sollen. Gehen sie jetzt freiwillig, oder soll ich ihnen nachhelfen?" Der Beamte langte in Richtung seines Elektroschockers.
Eine letzte Chance sah er: "Aber ich bin von der Firma FaceVision. Ich könnte klären, warum mich die Maschine nicht erkennt."
"Jetzt langts mir aber, sie Kasper. Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit."

Als er den Flughafen verließ, sah er die Leuchtschrift der Arbeitsvermittlung. Statt heute nach New York zu fliegen, würde er sich Montag dort melden. Hoffentlich erkannte ihn die Erkennungssoftware dort, sonst bekäme er nicht mal sein Hartz-7-Geld.

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